Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie während Ihrer Zeit hier gemacht, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?
Jacobs: Von Beginn an war unsere Zeit in Osnabrück von der bis dahin unbekannten Wucht der Pandemie und der druckvollen Corona-Politik mit all ihren sofortigen und dann auch langfristigen Auswirkungen geprägt. Der sehr unterschiedliche Umgang von Menschen mit Unbekanntem, mit Ängsten, Unsicherheiten, Verlusten und Einschränkungen, mit sozialer Einschränkung, mit dem Mut zur kritischen Infragestellung, mit Alternativen, mit Differenzierungen und unterschiedlichen Sichtweisen war prägend. Die verlockende Neigung vieler Menschen, Druck durch affektgesteuerte Äußerungen von Empörung, Schuldzuweisungen und Aggressionen abzureagieren, war irgendwie erschreckend. Meine Überzeugung, dass es für die gesamte Gesellschaft dringend ist, unser aller kommunikative, dialogische und versöhnende Kräfte und Fähigkeiten zu stärken, wurde dann unter den Eindrücken der folgenden großen Themen wie Kriege, Zerstörung, Hass, Flucht, Diskriminierungen aller Art, immer weiter gestärkt. Wir alle brauchen ein gutes Training in allem, was das Verbindende stärkt und Gewaltanwendung zur Regelung von Konflikten stoppt. Versöhnung heißt für mich auch: nicht verloren geben und nicht verloren gehen. Der Umgang mit den großen Herausforderungen der letzten fünf Jahre zeigte mir: Um in Krisenzeiten Schäden möglichst gering zu halten, brauchen wir alle eine gewisse Entschlossenheit, nicht zu hassen und nicht zu polarisieren. Das bedeutet vor allem und trotz allem, die Orientierung und den inneren Kompass nicht zu verlieren, sondern im Menschen immer erstmal den Menschen zu sehen.
Binder: Ganz am Anfang im Lockdown, als alles geschlossen war, haben wir einfach fremde Leute auf der Straße angesprochen und gefragt: „Was bedeutet es Ihnen (euch), in der Friedensstadt Osnabrück zu leben?“ Es hat uns tief beeindruckt, wie vielen Menschen es etwas bedeutet, dass Osnabrück sich den Untertitel „Die Friedensstadt“ gegeben hat. Leute nehmen das offenbar ernst und von vielen hörten wir: „Das ist doch eine Selbstverpflichtung. Osnabrück als Verhandlungsort und der hier verkündete Friedenschluss nach dem 30-jährigen Krieg verpflichten uns, im Gespräch zu bleiben. Weg zu kommen vom Denkmuster ‚siegen oder verlieren‘. Wir brauchen unbedingt dialogische Formen zur Verhinderung weiterer Eskalation und zur Beilegung von Konflikten.“ Die Interessen und Anliegen aller Beteiligten zu hören und zu berücksichtigen, das gehört zu einem Friedensschluss. Dafür sollte sich die Stadt Osnabrück einsetzen.
Ja, die Eindrücke und das Erschrecken über die Krisen und Kriege während der vergangenen Jahre haben wohl die meisten Menschen irgendwie geprägt und beschäftigt. Das hat von vielen viel Aufmerksamkeit und auch Kraft gefordert, von uns auch. Für Vermittlung, Toleranz und Versöhnung einzutreten, macht in gewisser Weise angreifbar und auch einsam. Das liegt vielleicht daran, dass jede Konfliktpartei für ihre eigene Sicht Zustimmung und Unterstützung will. Wer sich da nicht auf eine der Konfliktseiten schlägt, zieht unter Umständen die Skepsis oder auch den Ärger beider Konfliktparteien auf sich.
Gleichzeitig sind wir auch Teil eines sehr lebendigen und schönen Geschehens. „zusammen – wirken – lernen“ – unter diesem Motto sind vielerlei tragfähige Kontakte und Kooperationen innerhalb und außerhalb des Kirchenkreises entstanden. Auch zu Kolleg*innen im Kirchenkreis sind im Laufe der Zeit gute, teils über das Berufliche hinaus gehende, persönliche Kontakte entstanden. Das ist sehr schön, freut uns und trägt auch ein stückweit in die kommende Zeit.