Meike Jacobs und Pastor Matthias Binder verabschiedet

Nachricht 17. Februar 2025

Beauftragung für Friedensort Osnabrück/FO:OS beendet

Im Anschluss an das wöchentlich stattfindende Ökumenische Friedensgebet der ACKOS in der St.-Marien-Kirche Osnabrück haben Mitte Januar die Verabschiedung und Entpflichtung von Diplom-Sozialpädagogin und Diplom-Theologin Meike Jacobs und Pastor Matthias Binder stattgefunden. Seit März 2020, also seit fast fünf Jahren, bauten Jacobs und Binder die Arbeit von Friedensort Osnabrück/FO:OS auf und knüpften Netzwerke in unterschiedlichsten Zusammenhängen von Kirche, Politik, Zivilgesellschaft und Kultur. Sie brachten sich und damit den Kirchenkreis Osnabrück in die Organisation vieler verschiedener Veranstaltungen ein wie beispielsweise in den Ökumenischen Kirchentag „Wege des Friedens“ in Osnabrück, die Friedenskette zwischen Osnabrück und Münster, die Demonstration „Osnabrück bekennt Farbe – gegen Faschismus für Demokratie“, das ökumenische Frauen*mahl, den Friedenspilgerweg zwischen Münster und Osnabrück oder die internationale Tagung „Frieden der Zukunft“ ein.

In einem Gespräch berichten Meike Jacobs und Matthias Binder, wie sie ihre Arbeit am Friedensort erlebt haben und welche Momente sie besonders im Gedächtnis behalten werden.

Was hat Sie ursprünglich motiviert, sich für den Friedensort Osnabrück FO:OS zu bewerben und nach Osnabrück zu kommen?

Meike Jacobs: Dass der Kirchenkreis Osnabrück und die hannoversche Landeskirche sich mit der weltweiten Ökumene verbinden, um den „Pilgerweg für Gerechtigkeit und Frieden“ konkret werden zu lassen. Der Ökumenische Rat der Kirchen ringt seit seiner Vollversammlung 2013 in Busan (Südkorea) um Entschlossenheit und Glaubwürdigkeit für Frieden, Gerechtigkeit und Klimaschutz. Das ist tatsächlich, so erstaunlich es klingen mag, fast überall auf der Welt schwierig und geschieht unter den jeweiligen konkreten Herausforderungen und Hindernissen. Oft sogar unter großen Gefahren angesichts bestehender Zweifel und Widerstände gegen Versöhnung. Die Förderung von acht Friedensorten seitens der hannoverschen Landeskirche ist vor diesem Hintergrund entstanden und wurde 2016 interessanterweise auf der Synode in der Friedensstadt Osnabrück entschieden. Um Frieden und Gerechtigkeit zu ringen, dazu gehört die biblisch-theologische Orientierung an der Gewaltfreiheit Jesu, die zu jeder Zeit eine starke Herausforderung war und geblieben ist. Gewaltfreiheit und die Feindesliebe gehören, christlich-religiös gesprochen, zur Nachfolge Jesu. Und sie stellen vielleicht unsere größten Herausforderungen dar. Beide werden täglich infrage gestellt – auch von vielen Christ*innen. Wir Christ*innen und unsere Kirchen sind zum Teil in erschreckendem Maße verstrickt in Zusammenhänge von Ungerechtigkeiten, Ausbeutung, Dominanzstreben, Feind- und Kriegslogik und in Zerstörung von Lebensräumen. Dies alles, obwohl wir nach unserem eigenen Selbstverständnis mit der Suche nach Gerechtigkeit und Frieden und der Bewahrung der Schöpfung beauftragt sind. Dieser innere Widerspruch ist eigentlich auch den meisten Menschen bekannt, und vielen tut er richtig weh. Die Stellenausschreibung für Friedensort Osnabrück sprach uns genau vor diesem Hintergrund an. Denn der Kirchenkreis Osnabrück zeigte sich darin offen für seine eigene, auch selbstkritische Entwicklung. Man wollte sich zusammen mit der Zivilgesellschaft für immer mehr Gerechtigkeitsthemen und damit für Versöhnung und Frieden stark machen.

Matthias Binder: Es passte zu unserer damaligen biographischen Situation und beruflichen Neuorientierung, die Themen „Frieden und Versöhnung“ in den Mittelpunkt unseres Denkens und Engagements zu stellen. Genau das fanden wir in der Stellenausschreibung wieder. Inhaltlich trieb uns um, wie die Erzählungen des konsequent gewaltfreien Handelns und Redens Jesu heute Inspiration und hilfreiche Orientierung geben können, wenn es in Familie, Kirche, Gesellschaft oder Politik schwierige Situationen gibt. Wir wissen ja, dass sein Tun und Reden und sein entschlossenes Eintreten für Versöhnung und Menschlichkeit, gegen Diskriminierung, gegen Hass und Unterdrückung, auch seinerzeit die herrschende Ordnung und Machtverhältnisse radikal in Frage gestellt haben. Dazu gehörte seine Auflösung von bestehenden Freund- und Feindmustern. Der Überlieferung nach war sein Weg damals schon eine Herausforderung, für manche sogar schon von seiner Geburt an ein Skandal. Und trotzdem wurde Jesus in seiner durch Gewalt und Ungerechtigkeiten geprägten Zeit kein Mitläufer. Wir sind nach Osnabrück gekommen, um uns, zusammen mit anderen Suchenden in der Friedensstadt, auf den Weg zu machen, diese bis heute andauernde Herausforderung – auch spirituell und theologisch – anzunehmen. Zusammen mit anderen Menschen, egal welchen Alters, welcher Religion oder welcher anderen Hintergründe, wollen wir immer sicherer darin werden, friedenslogisch wahrzunehmen, das heißt, friedenslogisch zu denken, zu fühlen, zu kommunizieren und zu handeln. Das erfordert von uns allen ein dauerhaftes, entschlossenes, tägliches Einüben. Friedenslogik damals und heute – offenbar nicht „mainstream“.

Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie während Ihrer Zeit hier gemacht, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Jacobs: Von Beginn an war unsere Zeit in Osnabrück von der bis dahin unbekannten Wucht der Pandemie und der druckvollen Corona-Politik mit all ihren sofortigen und dann auch langfristigen Auswirkungen geprägt. Der sehr unterschiedliche Umgang von Menschen mit Unbekanntem, mit Ängsten, Unsicherheiten, Verlusten und Einschränkungen, mit sozialer Einschränkung, mit dem Mut zur kritischen Infragestellung, mit Alternativen, mit Differenzierungen und unterschiedlichen Sichtweisen war prägend. Die verlockende Neigung vieler Menschen, Druck durch affektgesteuerte Äußerungen von Empörung, Schuldzuweisungen und Aggressionen abzureagieren, war irgendwie erschreckend. Meine Überzeugung, dass es für die gesamte Gesellschaft dringend ist, unser aller kommunikative, dialogische und versöhnende Kräfte und Fähigkeiten zu stärken, wurde dann unter den Eindrücken der folgenden großen Themen wie Kriege, Zerstörung, Hass, Flucht, Diskriminierungen aller Art, immer weiter gestärkt. Wir alle brauchen ein gutes Training in allem, was das Verbindende stärkt und Gewaltanwendung zur Regelung von Konflikten stoppt. Versöhnung heißt für mich auch: nicht verloren geben und nicht verloren gehen. Der Umgang mit den großen Herausforderungen der letzten fünf Jahre zeigte mir: Um in Krisenzeiten Schäden möglichst gering zu halten, brauchen wir alle eine gewisse Entschlossenheit, nicht zu hassen und nicht zu polarisieren. Das bedeutet vor allem und trotz allem, die Orientierung und den inneren Kompass nicht zu verlieren, sondern im Menschen immer erstmal den Menschen zu sehen.

Binder: Ganz am Anfang im Lockdown, als alles geschlossen war, haben wir einfach fremde Leute auf der Straße angesprochen und gefragt: „Was bedeutet es Ihnen (euch), in der Friedensstadt Osnabrück zu leben?“ Es hat uns tief beeindruckt, wie vielen Menschen es etwas bedeutet, dass Osnabrück sich den Untertitel „Die Friedensstadt“ gegeben hat. Leute nehmen das offenbar ernst und von vielen hörten wir: „Das ist doch eine Selbstverpflichtung. Osnabrück als Verhandlungsort und der hier verkündete Friedenschluss nach dem 30-jährigen Krieg verpflichten uns, im Gespräch zu bleiben. Weg zu kommen vom Denkmuster ‚siegen oder verlieren‘. Wir brauchen unbedingt dialogische Formen zur Verhinderung weiterer Eskalation und zur Beilegung von Konflikten.“ Die Interessen und Anliegen aller Beteiligten zu hören und zu berücksichtigen, das gehört zu einem Friedensschluss. Dafür sollte sich die Stadt Osnabrück einsetzen.

Ja, die Eindrücke und das Erschrecken über die Krisen und Kriege während der vergangenen Jahre haben wohl die meisten Menschen irgendwie geprägt und beschäftigt. Das hat von vielen viel Aufmerksamkeit und auch Kraft gefordert, von uns auch. Für Vermittlung, Toleranz und Versöhnung einzutreten, macht in gewisser Weise angreifbar und auch einsam. Das liegt vielleicht daran, dass jede Konfliktpartei für ihre eigene Sicht Zustimmung und Unterstützung will. Wer sich da nicht auf eine der Konfliktseiten schlägt, zieht unter Umständen die Skepsis oder auch den Ärger beider Konfliktparteien auf sich.

Gleichzeitig sind wir auch Teil eines sehr lebendigen und schönen Geschehens. „zusammen – wirken – lernen“ – unter diesem Motto sind vielerlei tragfähige Kontakte und Kooperationen innerhalb und außerhalb des Kirchenkreises entstanden. Auch zu Kolleg*innen im Kirchenkreis sind im Laufe der Zeit gute, teils über das Berufliche hinaus gehende, persönliche Kontakte entstanden. Das ist sehr schön, freut uns und trägt auch ein stückweit in die kommende Zeit.

Welche waren die wichtigsten Anliegen, an denen Sie in den letzten knapp fünf Jahren gearbeitet haben?

Binder/Jacobs: Das waren vielfältige Anliegen inner- und außerhalb Osnabrücks. Zum Beispiel mit so vielen anderen Menschen immer wieder und hartnäckig darüber nachzudenken, was der 1648 geschlossene Westfälische Friede für heutige Konfliktregelung bedeuten könnte. Auch kircheninterne Themen gehörten dazu: zum Beispiel die Entwicklung eines Schutzkonzeptes gegen sexualisierte Gewalt im Kirchenkreis Osnabrück, die Sensibilisierung für Sexismus, postkolonialen Rassismus und Diskriminierungen innerhalb von Kirche/n. Mehr Ehrgeiz für Umwelt- und Klimaschutz wecken, denn theologisch gesprochen, ist das ja auch unser aller Auftrag: Bewahrung der Schöpfung und die Ehrfurcht vor allem Leben.

„zusammen – wirken – lernen“ hieß für FO:OS auch, dass wir Christ*innen uns, unseren Glauben und unsere Kirche(n) als gleichberechtigte Teile der pluralen Gesellschaft verstehen und vertreten (lernen). Denn: Wenn und solange wir uns nur als sogenannte gesellschaftliche Mehrheit wohl oder sicher fühlen, sind wir nicht frei und sicher darin, uns in einer pluralen Gesellschaft wohlzufühlen, uns und andere gleichermaßen wertzuschätzen und zum gesellschaftlichen Frieden beizutragen.

Im Sinne des Pilgerwegs für Gerechtigkeit, Versöhnung und Frieden wollten wir dazu anregen, den jeweils angeblichen „common sense“ zu hinterfragen. Und das bedeutet auch, hie und da und immer mal wieder über alte Grenzen neu nachzudenken und sie gegebenenfalls zu verrücken oder abzubauen. Wichtig war uns, Frieden auch vor Ort und ganz konkret durchzubuchstabieren. Den Weg hin zu Versöhnung besser verstehen zu lernen, bleibt unser Anliegen. Es ist uns wichtig, gerade auch spirituell und theologisch danach zu fragen, was es bedeutet, versöhnlich zu leben. Vergebung und Versöhnung hängen wohl zusammen – und es sind doch zwei Dinge.

Was ist Ihnen besonders wichtig (gewesen)?

Jacobs: Die Arbeit von Friedensort Osnabrück/FO:OS sollte „nicht so churchy“ sein, das war von Anfang an Teil unseres Auftrags. So sollten und konnten wir auch viel Energie und Offenheit dahingehend einbringen, in Kontakt mit außerkirchlichen und auch mit kirchenkritischen Menschen und Organisationen zu kommen. Uns war und ist es besonders wichtig, hinzuhören und einzubeziehen, wie Christ*innen und ihre Kirche(n) von außen wahrgenommen werden. Dass diese Kontakte und ein Vertrauensaufbau Zeit brauchen, bestätigte sich während der vergangenen Jahre immer wieder. Kirche gilt in der Bevölkerung eben nicht automatisch als kompetent und verlässlich, wenn es zum Beispiel um die Einhaltung von Menschenrechten, um Menschenwürde, um Klimaschutz oder um Gleichberechtigung in Vielfalt geht.

Binder: Wir sollten und wollten Stimmen und Energie für Gerechtigkeit, Versöhnung und Frieden innerhalb und außerhalb kirchlicher Kreise hören und uns mit ihnen in Verbindung bringen. Dazu haben wir während der vergangenen Jahre, zum Beispiel zusammen mit Kooperationspartner*innen wie Pax Christi, der Männerarbeit des Sprengels Osnabrück, der OFRI und Exil e.V., das Szenario „Sicherheit neu denken – von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik“ ins Bewusstsein und ins Gespräch gebracht. Wir sind als Mitarbeiter*in des Kirchenkreises auch verschiedene, teilweise auch neu entstandene Bündnisse zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen eingegangen.

Wie hat sich Ihrer Meinung nach der Friedensort Osnabrück/FO:OS seit dem Start im Jahr 2020 Jahren entwickelt?

Binder/Jacobs: Nach unserer Wahrnehmung wurden der Charakter und die thematische Bandbreite der offenen, experimentellen und kreativen Ausrichtung von FO:OS gut in die Stadtöffentlichkeit eingeführt und sind „angekommen“. Als Partner*in und Mitakteur*in bei Friedensaktivitäten und Gerechtigkeitsthemen wurden wir und damit FO:OS zunehmend wahrgenommen und angefragt – vielleicht sogar stärker in der Osnabrücker Zivilgesellschaft als in kirchlichen Kreisen. Beide Richtungen im Blick zu behalten und wünschenswerterweise auf- und auszubauen, war unser Auftrag und Alltag.

Was werden Sie am meisten vermissen, wenn Sie aus dem Dienst ausscheiden?

Jacobs: Unseren Platz auf dem Tellerrand. Da ist es nicht gerade komfortabel, manchmal auch ungemütlich. Und je tiefer oder größer so ein Teller ist, desto wichtiger ist es, den Sinn für den Blick über den Tellerrand zu pflegen. Die berufliche Aufgabe, „über den kirchlichen Tellerrand hinauszuschauen“, das wird mir fehlen. Das war ja unser Auftrag: von da aus fragend und tätig unterwegs zu sein. Sowohl nach innen wie auch nach außen, und immer mit Blick und Sinn für die vielen verschiedenen Gedecke auf dem Tisch der Stadtgesellschaft.

Binder: Im Auftrag des Kirchenkreises/der Kirche auf dem ökumenischen Pilgerweg für Gerechtigkeit, Versöhnung und Frieden unterwegs sein zu dürfen, das wird mir fehlen. Ich werde das Konzept „zusammen – wirken – lernen“ vermissen und damit beauftragt zu sein, eine kirchliche Stimme zu sein bei der gesellschaftlichen Suche nach den vielen Frieden im Kleinen wie im Großen. Ich werde es vielleicht auch vermissen, diesen offenen Entwicklungsprozess selbst weiter mit auszuloten und mitzugestalten, die vielen Vernetzungskontakte langfristig zu verstetigen und Kirche als verlässliche Partnerin bei der kooperativen, konfliktsensiblen Bearbeitung lokaler und gesellschaftlicher Themen einzubringen.

Darüber hinaus sind wir beide überzeugt, dass wir alle von da, wo wir gerade sind, dazu beitragen können, Gewalt zu mindern und zu verhindern. Jeder Schritt in dieser Richtung ist wertvoll und sinnvoll – aus Ehrfurcht vor dem Leben.

Welche Perspektive haben Sie für die Zeit nach Friedensort FO:OS?

Binder/Jacobs: Darüber, dass aus den ursprünglich ausgeschrieben drei Jahren nun fast fünf Jahre geworden sind, freuen wir uns natürlich. In dieser Zeit haben wir hier in dieser für uns zuvor fremden Stadt Fuß gefasst und stellen uns auch weiterhin vor, in Osnabrück zu wohnen und zu arbeiten.

Dafür wünschen wir Gottes Segen und danken für das Gespräch!