Frei, sehr persönlich und eindringlich sprach Arnd Henze in der Katharinenkirche, aus der der Vortrag übertragen wurde. „Corona ist der kommunikative Stresstest für die Demokratie. Und ich möchte mich heute deshalb auf den Schwerpunkt Kommunikation konzentrieren“, stellte er zu Beginn klar. Henze kam direkt aus dem Hanns-Lilje-Heim in Wolfsburg, das im Frühjahr wegen zahlreicher Todesfälle in den Schlagzeilen war. Über dieses Heim hat er in den vergangenen Wochen eine Dokumentation gedreht und den fertigen Film gemeinsam mit den Bewohner*innen und dem Pflegepersonal angesehen – bevor dieser ausgestrahlt wird. „Es war die emotionalste Erfahrung meiner beruflichen Zeit“, sagte der erfahrene Journalist. In dem Film habe es „Kippmomente“ gegeben, dort, wo es um die unterschiedliche Wahrnehmung von Pflegepersonal und Angehörigen gegangen sei. Vor Ort zu sein und die Sicht- und Arbeitsweise erklären zu können – das habe den Unterschied gemacht. „Demokratie ist Kommunikation. Demokratie heißt, unterschiedliche Erfahrungswelten wahrzunehmen, auszuhalten und miteinander ins Gespräch zu bringen.“ Die Dokumentation über das Hanns-Lilje-Heim tut genau dies.
Den Begriff Stresstest statt Krise wählte Henze bewusst. Stresstest betone die Handlungsoptionen, das Offene, mache uns zu Akteuren. Die aktuelle Situation der Pandemie komme einem globalen – nicht simulierten – Stresstest gleich, in dem sich die Sicherungssysteme als resilient, widerstandsfähig erweisen müssten. „In einer Demokratie ist Kommunikation alles“, sagte er und nannte Beispiele bestandener Stresstests: die Finanzkrise, die Euro-Schuldenkrise, die Flüchtlingskrise. Die Flüchtlingskrise habe man in Deutschland „objektiv herausragend gelöst, kommunikativ aber total verloren“. Geblieben sei das Bild vom Kontrollverlust. „Warum haben wir es nicht geschafft, dem Narrativ der Verächter und Schlechtredner das Narrativ der hunderttausend Hilfsgeschichten aus Gemeinden und Stadtteilen entgegenzusetzen? Dem Narrativ des Scheiterns ein Narrativ des Gelingens?“, fragt Henze. Sein Erklärungsansatz: „Demokratie ist Kommunikation. Kommunikation ist ein Vertrauensprozess, der eine Fehlerkultur braucht.“ Kommunikation, die transparent erklärt, erhöhe die Akzeptanz, ist Henze überzeugt. Demokratie heiße deshalb auch, Lernprozesse miteinander zu organisieren. Das gelte aktuell vor allem bei der Frage, wie wir die Grundrechte ausbalancieren und wie wir die Akzeptanz der Einschränkungen verstetigen können.
Die öffentlichen Räume nicht den Verächtern der Demokratie überlassen
Neu lernen „müssen“ wir das Gespräch, ist Henze sicher. Denn der Lockdown und die mit Corona einhergehende Kontaktbeschränkung hätten die „Blasenbildung“ in der Gesellschaft und die Milieuverengung weiter verstärkt, das dürfe sich nicht fortsetzen. Demokratie lebe von der Begegnung, Verständigung und dem Aushandeln unterschiedlicher Interessen. Sehr klar wandte sich Henze gegen den Anspruch, Religionsfreiheit als Grundrecht zu priorisieren. Grundprinzip der Verfassung sei das Ausbalancieren von verschiedenen Grundrechten, nicht deren Hierarchisierung. Der Kirche weist Henze da eine „hörende Rolle“ zu und die Aufgabe, insbesondere leise Stimmen wahrnehmbar zu machen. Kirche, die noch in der Fläche präsent sei, könne analoge Räume öffnen, um Austausch zwischen unterschiedlichen Interessengruppen anzubieten und eine „Hinhör-Atmosphäre“ zu schaffen.
Und noch etwas liegt Henze am Herzen: „Die öffentlichen Räume dürfen wir nicht den Verächtern der Demokratie überlassen. Wir müssen sie intelligent, neu und kämpferisch füllen und verteidigen.“ Der Lernprozess in der Pandemie braucht den analogen Raum, um das ringende Gespräch wieder neu zu lernen. Sein Appell an die Kirchen: Stellt eure Räume als solche „Lernräume für Demokratie“ zur Verfügung.
„Sie haben uns in sehr erfrischender Weise den Spiegel vorgehalten, was für Kirche und kirchliche Bildungsarbeit zu tun ist. Ich wünsche mir und hoffe, dass die Nachfolger sich davon inspirieren lassen“, dankte ihm Frieder Marahrens, der damit seinen Abschied noch zu einer Bildungsveranstaltung gemacht hatte.
Freundlichkeit, Humor, Tiefgang und Warmherzigkeit
Die Staffelübergabe an der Spitze der EEB erfolgte im Rahmen des wöchentlichen „Feierabend-Gottesdienstes“ in der Katharinenkirche. „Feierabend, lieber Frieder“, begrüßte ihn Otto Weymann. Und er betonte, dass „Feierabend“ ja auch als Zeitansage für einen neuen Anfang stehe, und wünschte Christian Bode Gottes Segen für seine neuen Aufgaben als Geschäftsführer der EEB.
Superintendent Hannes Meyer-ten Thoren, Vorsitzender des Vorstandes der EEB Osnabrück, erinnerte mit dem Ordinationsspruch „Ich lege meine Worte in deinen Mund“ (Jeremia 1,9) an die Ordination Marahrens‘ vor 34 Jahren. Er habe Frieder Marahrens als Menschen erlebt, der „mit Freundlichkeit, Humor, Tiefgang und Warmherzigkeit“ gewirkt und immer wieder neue Ideen zu gesellschaftspolitischen Themen entwickelt habe, so Meyer-ten Thoren. Dabei sei ihm der Jüdisch-Christliche Dialog immer ein Herzensanliegen geblieben.
Die offizielle Entpflichtung von Frieder Marahrens und die Einführung von Pastor Christian Bode nahm Oberkirchenrätin Isabell Schulz-Grawe aus dem Landeskirchenamt Hannover vor. Segenswünsche gab es neben ihr auch von Ulrike Koertge, Leiterin der EEB Niedersachsen, und Superintendent Hannes Meyer-ten Thoren.
Mit Talar und Turnschuhen
Pastorin Koertge erinnerte an das fröhliche Bild der Schlüsselübergabe zwischen Marahrens und Bode. Es strahle Optimismus und Freude aus. „Ich komme mit Talar und Turnschuhen“, habe ihr Bode gesagt, der als Pastor auch die seelsorgerliche Begleitung des Deutschen Tischtennis-Teams bei den Paralympics übernehme. Sein Ordinations- und zugleich Konfirmationsspruch stammt wie der von Marahrens aus dem Ersten Testament: „Fürchte dich nicht, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, Du bist mein.“ (Jesaja 43,1).
Die Staffelübergabe an Christian Bode erfolgte ganz konkret in Form eines waschechten Holzstabes von der Nordsee zur Wasserstandsmessung, den Marahrens bereits von seiner Vorgängerin Erika Barth übernommen hatte.
Einen großen Dank sprach der frisch eingeführte Geschäftsführer Christian Bode dem Küster der Katharinenkirche, den Vertretern des Blauen Kreuzes, allen Mitwirkenden am Gottesdienst und dem Mediendienst Bramsche aus. Die Freude auf den Start im neuen Amt war ihm dabei anzusehen.