Pastor Cord-Michael Thamm (CMT), Friedensbeauftragter des Kirchenkreises Osnabrück, im Gespräch mit Diplom-Theologin und Diplom-Sozialpädagogin Meike Jacobs sowie mit Pastor Matthias Binder, die gemeinsam am Friedensort Osnabrück (kurz FO:OS) arbeiten.
CMT: Was ist der Friedensort im Unterschied zu der Friedensstadt Osnabrück?
FO:OS: Ja, das ist wirklich eine interessante Frage! Beides klingt ja sehr ähnlich. Als Friedensstadt bezeichnet sich Osnabrück schon seit vielen Jahren, was letztlich auf die Friedensverkündung des Westfälischen Friedens im Jahr 1648 zurückgeht. Hinter dem Namen Friedensort Osnabrück steht die Entscheidung des Evangelisch-lutherischen Kirchenkreises Osnabrück, sich mit auf den Weg zu machen, Kirche des gerechten Friedens zu werden. In der hannoverschen Landeskirche gibt es mittlerweile acht Friedensorte. Der jüngste unter ihnen ist Osnabrück.
CMT: Wie kann ein gerechter Frieden konkret werden, zum Beispiel hier in der Stadt?
FO:OS: Es ist zweifellos wichtig, wenn wir über die großen Dinge und Zusammenhänge reden, auch auf die konkrete Bedeutung zum Beispiel hier vor Ort zu kommen. Und so verhält es sich auch mit Blick auf den „gerechten Frieden“. Das ist die Formulierung, die in der weltweiten Ökumene eine Aufbruchstimmung ausdrückt: Wir wollen uns auf den Weg machen und dazu beitragen, dass alle Menschen in Gerechtigkeit und Frieden leben können. Dazu gehört übrigens auch die Bewahrung der Schöpfung! Die hannoversche Landeskirche hat im Jahr 2016 hier in Osnabrück einen Synodalbeschluss gefasst, sich auch mit auf diesen Weg zu machen. Wie das konkret werden kann, ist jeweils vor Ort herauszufinden. Fertige Rezepte gibt es da nicht. Genau dazu ist dieser Friedensort „ins Leben gerufen worden“. Wichtig ist dabei auch der Blick auf uns selbst: Kirche muss sich selbst den kritischen Fragen stellen, wie und wo wir Teil eines verwirrenden Systems sind, das Gewinner*innen und Verlierer*innen hervorbringt, und das selbst in seinen Machtverwicklungen eine Art UN-FRIEDEN am Laufen hält. Wir brauchen den ehrlichen Austausch in unseren Gemeinden und darüber hinaus, um zu erfahren, ob wir als Kirche und auch wir selber als Personen als glaubhafte und aufrichtig Botschafter*innen des gerechten Friedens wahrgenommen werden.
CMT: Bald seid ihr ein Jahr in Osnabrück. Dieses Jahr war natürlich stark von der Corona-Pandemie geprägt. Was könnt ihr rückblickend über die Menschen hier sagen?
FO:OS: Es war für uns eine sehr besondere Erfahrung, an einem fremden Ort eine neue Arbeit anzutreten, die es zuvor so noch nicht gab. Und dann konnte wegen der Corona-Pandemie vieles Geplante ja gar nicht stattfinden. So haben wir wohl auch viel weniger Menschen erlebt und kennen gelernt, als es ohne Corona möglich gewesen wäre. Umso mehr haben wir alle möglich gewesenen Begegnungen geschätzt, auch die eher zufälligen und ungeplanten. Uns begegneten von Anfang an sehr viel Freundlichkeit, Interesse und Offenheit, sowohl uns persönlich gegenüber als auch mit Blick auf die kirchliche Initiative des Friedensorts Osnabrück. Was wir von Anfang an als sehr angenehm empfinden und auch übernommen haben, ist, dass uns Menschen, die wir vorher noch nie gesehen haben, im Vorbeilaufen ein „Moin“, „Hallo“ oder „Guten Tag“ zurufen. Das ist eine sehr schöne Gewohnheit!
CMT: Auf einer der ersten Veranstaltungen, an denen ihr hier in Osnabrück teilgenommen habt, wurde der Begriff der „wunden Punkte“, die zu „Wunder-Punkten“ werden können, geprägt. Wo seht ihr solche hier in der Stadt?
FO:OS: Jede Stadt hat ihre wunden Punkte. Manchmal sind das Themen und manchmal Orte. Zum Beispiel Orte, die irgendwie „aufgegeben“ wirken oder auch total „umkämpft“. Manchmal sind es auch Orte, die aktuell ganz „normal“ wirken, und wo zu anderen Zeiten Gewalt und Unrecht stattgefunden haben … Der Gedanke an „wunde Punkte“ spricht unmittelbar an, vielen Menschen fällt direkt etwas dazu ein, wenn sie an ihre eigene Stadt oder Gemeinde denken. In einer Stadt gemeinsam der Frage nach „wunden Punkten“ nachzugehen, ist übrigens häufig sehr hilfreich, um offene oder unterschwellige Konflikte neu wahrzunehmen. Das fördert manchmal das gegenseitige Verständnis und kann die Entwicklung eines gewaltfreien, inklusiven Zusammenlebens fördern. Solche „wunden Punkte“ für ein ganzes Gemeinwohl oder gar eine ganze Stadt zu benennen, ist ein intensiver Prozess. Er wird am besten gemeinsam und im fortdauernden Gespräch gestaltet, damit er zum guten Zusammenleben beiträgt. Wäre das auch für diese Gemeinde interessant? Dass darin auch das Wort „Wunder“ steckt, ist doch faszinierend. Das hat auch mit „sich wundern“ zu tun. Manchmal wundert man sich nämlich darüber, wie und wodurch so ein „wunder Punkt“ mal entstanden ist, oder auch darüber, dass ein ehemals „wunder Punkt“ später zum Symbol für Verständigung oder Versöhnung wird. Für Wunder im theologischen Sinne wissen und sehen wir Gott-sei-Dank einen anderen zuständig.
CMT: Ihr seid für die evangelische Kirche maßgeblich an den Vorbereitungen für einen regionalen, ökumenischen Kirchentag, der vom 16. bis 18. Juni 2023 hier in Osnabrück stattfinden soll, beteiligt. Auf was dürfen wir uns freuen?
FO:OS: Auf jeden Fall darauf, dass es viel Gelegenheit geben soll, eigene Themen, Fragen und Fähigkeiten einzubringen! Es soll ein Kirchentag werden, an dem wir die verschiedenen Facetten und Dimensionen von Gerechtigkeit und Frieden miteinander erleben können. Die Vorbereitungen dazu stehen ganz am Anfang. Erste Ideen und Anregungen wurden gesammelt und sollen zu einem Ganzen zusammengeführt werden. Zunächst steht an, einen Trägerverein zu gründen und ein inspirierendes Leitwort für diesen Ökumenischen Kirchentag auszurufen. Er und das gesamte Jahr 2023, in dem sich der Westfälische Frieden zum 375. Mal jähren wird, mögen hoffentlich den Geist von Weite ausstrahlen und zur Überwindung von Mauern und Grenzen ermutigen. Welche Bedeutung haben die Religionen und der interreligiöse Dialog für die Entfaltung von Gerechtigkeit und Frieden? Auch darüber wird zu reden sein.
CMT: Ich danke euch sehr für dieses Gespräch.