Sicherheit neu denken – Von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik

Nachricht 12. September 2021

Veranstaltung von pax-christi-Regionalverband OS/HH, Exil e.V. und Friedensort Osnabrück

Mit einer Abendveranstaltung informieren der pax-christi-Regionalverband OS/HH, Exil e.V. und Friedensort Osnabrück über das Szenario „Sicherheit neu denken“. Dieses Prinzip der Stärkung ziviler Krisenprävention wird seit mehreren Jahren in einem Arbeitskreis der Badischen Landeskirche entwickelt. Es zeigt auf, wie Deutschland analog zum Ausstieg aus der Atom- und Kohleenergie auch den Bereich der Sicherheitspolitik von einer militärischen Dominanz auf eine vornehmlich zivile Politik umstellen könnte. Entstanden ist eine 165 Seiten starke Veröffentlichung, die wesentliche Ideen und Schritte vorstellt. Am Donnerstag, 16. September, ist mit Ralf Becker der Koordinator und Mitautor des Szenarios in Osnabrück zu Gast. Im Vorfeld erläutert er das Thema im Interview.

Frage: Herr Becker, Sie haben das Szenario „Sicherheit neu denken“ mit entwickelt. Wie lässt es sich zusammenfassen?

Ralf Becker: Das Szenario beschreibt das Ziel einer zivilen Außen- und Sicherheitspolitik ohne Militär. Es skizziert Schritte und Etappen dorthin und zeigt in verschiedenen Politikfeldern den möglichen Weg zu einer Gesellschaft, die auf Gewaltprävention und Kooperation setzt. Dazu beschreibt das Szenario fünf Pfeiler ziviler Sicherheitspolitik: 1. gerechter Wirtschafts- und Lebensstil, 2. nachhaltige Entwicklung der EU-Anrainerstaaten, 3. Entwicklung einer globalen zivilen Sicherheitsarchitektur, 4. resiliente Demokratie, 5. Konversion der Bundeswehr und der Rüstungsindustrie.

Grundlage des Szenarios sind bereits erprobte und realisierte Instrumente ziviler Prävention, gerechtes Wirtschaften, die Förderung nachhaltiger Entwicklung im Nahen Osten und Afrika sowie eine Wirtschafts- und Sicherheitspartnerschaft mit Russland beziehungsweise der Eurasischen Wirtschaftsunion. So könnte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zur polizeilichen Sicherheitsorganisation für Europa ausgebaut und die Bundeswehr komplett zum Technischen Hilfswerk transformiert werden.

Die Organisation der Vereinten Nationen (UNO) könnte um ein Vielfaches wirksamer sein als heute, sodass nationale Armeen zunehmend überflüssig werden. Wir zeigen auf, wie wir 80 Milliarden Euro jährlich, das entspricht 2 Prozent unserer Wirtschaftsleistung, statt in militärische Sicherheitspolitik in eine nachhaltig wirksame zivile Sicherheitspolitik investieren könnten.

Das Buch zum Thema wurde 2019 veröffentlicht. Wie waren die Reaktionen darauf?

Becker: Das Szenario fand nach seiner Veröffentlichung so vielfältig positive Resonanz, dass es inzwischen ins Englische, Französische, Niederländische, Polnische und Russische übersetzt wurde. Aufgrund der vielfältigen positiven Resonanz finanziert die Badische Landeskirche eine fünfjährige Projektstelle zum Aufbau einer bundesweiten Kampagne für einen entsprechenden Paradigmenwechsel in Politik, Kirche und Gesellschaft.

Inzwischen engagieren sich 37 deutsche und drei europäische Organisationen in der Initiative „Sicherheit neu denken“. Jüngst zeigte sich Greenpeace an einer Kooperation interessiert.

Bisher wurden bundesweit über 100 Multiplikator*innen ausgebildet. Insgesamt erreichte das Szenario bisher in 230 Veranstaltungen über 9.000 Interessierte. Zahlreiche weitere Veranstaltungen sind geplant. Die FAZ berichtete ebenso wie der rbb und Deutschlandfunk Kultur. In Kürze erscheint ein Artikel in der Frankfurter Rundschau. Die Münchner Sicherheitskonferenz führt einen öffentlichen Dialog mit uns, bei der Jahrestagung der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler konnten wir das Szenario ebenso vorstellen wie inzwischen zahlreichen Verteidigungs- und sonstigen Politiker*innen des Deutschen Bundestags und diversen Gremien verschiedener Parteien.

Natürlich gab und gibt es auch skeptische bis ablehnende Reaktionen, die unser Szenario mehr oder minder als naiv bewerten. Angesichts der inzwischen jedoch offensichtlichen Ineffektivität militärischer Auslandseinsätze wie im Irak, in Libyen, in Afghanistan und in Mali sowie zunehmender Sicherheitsbedrohungen durch den Klimawandel und dadurch ausgelöste Migration öffnen sich immer mehr Menschen und Organisationen für die Stärkung ziviler Sicherheitspolitik.

Insgesamt erfahren wir sehr viel Dankbarkeit, da unser Aufzeigen der zahlreichen bereits bestehenden und wachsenden positiven Beispiele den Menschen Hoffnung gibt in unserer, immer unsicherer scheinenden Welt.

Das Vorhaben mutet ein wenig an wie eine Utopie. Welche Chancen auf eine Realisierung sehen Sie?

Becker: Die Chancen steigen mit jedem Jahr. Jedes Jahr wächst das Bewusstsein, dass wir die großen weltweiten Bedrohungen wie den Klimawandel nur gemeinsam und nicht gegeneinander bewältigen können. Militärische Sicherheitspolitik mutet ähnlich wie kohle- und atombasierte Energiepolitik immer anachronistischer an, das heißt sie passt nicht mehr in unsere Zeit zunehmender internationaler Vernetzung.

Vor 40 Jahren wurden all diejenigen ausgelacht, die die ersten Windräder und Fotovoltaik-Anlagen aufstellten in der Überzeugung, dass wir eine regenerative Energiepolitik benötigen. Durch den konsequenten Ausbau dieser Alternativen haben wir inzwischen den Paradigmenwechsel in diesem Bereich beschlossen. Wir sind der Überzeugung, dass wir durch den konsequenten Ausbau bereits erprobter ziviler Alternativen zur militärischen Sicherheitspolitik in den nächsten Jahrzehnten einen entsprechenden Paradigmenwechsel hin zu einer zivilen Sicherheitspolitik erleben werden.

Welche Unterstützung erfährt das Thema in Kirche, Gesellschaft und Politik?

Becker: Die gesamte Leitung der evangelischen Landeskirche in Baden steht hinter unserem Projekt. Auch immer mehr andere Landeskirchen sowie Fachstellen aus inzwischen zwölf katholischen Bistümern und kirchliche Hilfswerke engagieren sich in unserer Initiative. Zahlreiche Prominente und immer mehr Politiker*innen verschiedener Parteien unterstützen unsere Initiative ebenso wie ein breites Netz engagierter Bürger*innen. Natürlich ist da noch Luft nach oben. Gute Ideen brauchen auch ihre Zeit.

Wie können die Menschen in Osnabrück sich für das Szenario einsetzen?

Becker: Sie können sich auf unserer Website www.sicherheitneudenken.de breit informieren. Dort können Sie als Einzelperson oder Organisation unseren Aufruf unterzeichnen und unseren vierteljährlichen Newsletter abonnieren. Gern können Sie auch für unser Projekt spenden. Unter dem Button „Mach mit“ finden sich zahlreiche weitere Anregungen für Einzelne, Gruppen und Organisationen.

Zunächst geht es um die Verbreitung der Idee ziviler Sicherheitspolitik. Dazu können Sie die Kurzfassung unseres Szenarios verschenken und versenden mit der Bitte um Resonanz. Erfahrungsgemäß sind 50 Prozent der so angeschriebenen Personen bereit, sich für die Umsetzung des Szenarios zu engagieren. In einigen Jahren können Sie sich dann an konkreten politischen Kampagnen-Aktionen beteiligen, die wir zurzeit vorbereiten und durch die wir unsere gesellschaftliche, kirchliche und politische Wirksamkeit stetig erhöhen.

Die Veranstaltung „Sicherheit neu denken – Von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik“ beginnt am Donnerstag, 16. September, um 19 Uhr in der St.-Marien-Kirche, Markt 28, 49074 Osnabrück. Wegen der Corona-Vorgaben ist die Teilnehmerzahl begrenzt und eine Anmeldung erforderlich. Diese ist möglich beim pax-christi-Regionalverband (Telefon 0541 21775, E-Mail: os-hh@paxchristi.de) oder beim Friedensort Osnabrück (Telefon 0541 76027596, E-Mail: friedensort-osnabrueck@evlka.de).

Mehr Informationen:

www.sicherheitneudenken.de